Keramikstandort
 
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Friedmar Kerbe und GLAUX-Verlag Jena  - Buchempfehlung
 
Die Entwicklung des Keramikstandortes Hermsdorf und seine Beziehungen zur Region Jena 1890-1945

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Seite 3 - Die Gründung der HESCHO


Anmerkungen und Quellen auf Seite 7

Bereits 1904 war infolge rapider Nachfrage nach Elektroporzellan die Ausdehnung des Betriebes soweit fortgeschritten, dass man damals nicht mehr mit einer Erweiterungsfähigkeit auf lange Sicht rechnen durfte, »... sollten nicht die Bevölkerungs- und Lebensverhältnisse der durchaus ländlichen Gegend eine völlige Verschiebung erfahren. Man war demzufolge für die Neuanlagen der Zukunft vor die Wahl eines anderen Ortes gestellt, und die Entscheidung fiel auf die Stadt Freiberg (Sachsen)...« [11] da hier die Brennstoff- und keramische Rohstoffversorgung gesichert war und infolge der Erschöpfung des Sil­berbergbaus genügend Arbeitskräfte vorhanden waren, so dass die städtischen Behörden an der Niederlassung eines größeren Betriebes interessiert waren.

 
Bild 9: Grand Prix Brüssel
1910
Bild 10: Zahl der jährlich elektrisch
geprüften Hochspannungs­isolatoren
Bild 9: Grand Prix Brüssel 1910 Bild 10: Zahl der jährlich elektrisch geprüften Hochspannungs­isolatoren

Der Bau der Freiberger Porzellanfabrik, von der Kahla A.-G. für Elektroporzellanerzeugnisse konzipiert, wurde bis 1906 realisiert. Projektierung und Ausrüstung ab 1904 erfolgten von Hermsdorf aus unter Leitung von Oskar Arke und unter maß­geblicher Mitwirkung von Werner Hofmann, dem späteren Direktor des Freiberger Betriebes [12]. Die auf zahlreichen in- und ausländischen Energie-Fernüber­tragungsleitungen bewährten Hermsdorfer Isolatoren wurden auf den Weltausstellungen von Marseille (1908), Brüssel (1910) und Turin (1911) jeweils mit dem »Grand Prix« ausgezeichnet (Bild 9).
Die Leistungsfähigkeit der Hermsdorfer Fabrik war bis 1914 von den anfänglich 10 Rundöfen auf 21 gestiegen, die Gesamtbeschäftigtenzahl auf annähernd 1000. Die Zahl geprüfter Isolatoren erreichte im März 1913 die 10 Millionen-Marke (Bild 10).

 
Bild 11: Der Langstab als derzeit höchste Entwicklungsstufe der Vollkernisolatoren Bild 11: Der Langstab als derzeit höchste Entwicklungsstufe der Vollkernisolatoren

Die Fabrik ent­wickelte sich in der Zeit bis zum ersten Weltkrieg zu einem Großbetrieb, der eine zunehmende Rolle im Rahmen der Rüstungsproduktion spielte: Heereslieferungen machten 1917 etwa 90 % aller Inlandsaufträge aus.
Von den zahlreichen späteren Erfindungen und Weiterentwick­lungen auf dem Gebiet der Hochspannungs-Freileitungsisolatoren, die den Delta-Glocken folgten, seien der Metallschirm-Isolator (1909), Vollkern- und Kappenisolatoren und letztlich der Langstabisolator (Bild 11) als bisher höchste Entwicklungsstufe erwähnt.

Langstabisolatoren wurden in den 1930er Jahren entwickelt und 1938 in die Produktion überführt. Typenvertreter dieser traditionsreichen Entwicklungslinie zeigte eine Exposition im früheren Hermsdorfer Freiluft-Versuchsfeld (Bild 12), die jetzt zu den Beständen des Vereins für Regional- und Technikgeschichte e.V. in Hermsdorf zählt. Die etwa 150jährige internationale Entwicklungsgeschichte des Frei­leitungsisolators war Gegenstand zahlreicher geschichtlicher Einzeldarstellungen [13].
Entscheidenden Anteil an der technischen Weiterentwicklung der Isolatoren und an Epochemachenden Untersuchungen zur Hochspannungs-Prüftechnik hatten Dr.-Ing. William Weicker [14], Dr. Fried­rich Scheid [15] und die späteren Professoren Dr. E. Marx [16] und Dr. Fritz Obenaus [17].

 
Bild 12: Typenvertreter in der Ent­wicklung von Freileitungs­isolatoren Bild 12: Typenvertreter in der Ent­wicklung von Freileitungs­isolatoren

Die Gründung der HESCHO

Im Februar 1917 konnte die Kahla A.-G. den Grundstein für eine die folgenden Jahrzehnte entscheidende Ausweitung des Konzerns in der Nachkriegszeit legen: Aktien der H. Schomburg & Söhne A.-G. in Großdubrau bei Bautzen, eines der bedeutendsten Konkurrenten in der Elektroporzellanbranche, gingen in ihren Besitz über. Dieser Konzentrationsprozess setzte sich während der Inflation fort, als die »Margarethenhütte« in finanzielle Schwierigkeiten geriet. Am 20. Mai 1922 wurde zwischen beiden Aktiengesellschaften der Vertrag über eine Interessengemeinschaft auf 99 Jahre unterzeichnet, der am 23. Mai 1922 von den Außerordentlichen Hauptversammlungen beider Ak­tiengesellschaften bestätigt wurde [18]. Danach wurden beide Gesell­schaften »... von dem Wunsch geleitet, durch gemeinschaftliches Ar­beiten auf kaufmännischem, wirtschaftlichem und fabrikatorischem Gebiet die Leistungsfähigkeit der elektrotechnischen Werke beider Gesellschaften bei geringem Kostenaufwand auf ein höchstmögliches Maß zu bringen«. Beide Unternehmen brachten erhebliche Poten­tiale in die Interessengemeinschaft ein; sie galt schnell als bedeuten­der Unternehmensverbund in der deutschen Elektroporzellanindustrie überhaupt. Es wurde festgelegt, »... dass das Grundkapital beider Gesellschaften im Verhältnis 5/8 für Kahla zu 3/8 für Schom­burg steht« [19]. Der Gesamtvorstand beider Gesellschaften setzte sich nach Vertragsabschluß wie folgt zusammen: Generaldirektor Dr. Heinrich Fillmann (Kahla) als Vorsitzender, Direktor Johannes Dönitz (Hermsdorf, Direktor Dipl.-Ing. Werner Hofmann (Freiberg i. Sa.), Direktor Hermann Immisch (Bautzen), Direktor Dr. Max Richter (Kahla), Direktor Friedrich Scheid (Margarethenhütte) [20]. Am 15. Dezember 1922 kam es zur Errichtung der HERMS­DORF-SCHOMBURG-ISOLATOREN GmbH, kurz HESCHO genannt. Gegenstand dieses selbständigen Unternehmens war zunächst die Zusammenarbeit der Elektroporzellanfabriken Herms­dorf und Freiberg einerseits, der Werke Margarethenhütte und Roßlau andererseits sowie der Tonwarenfabrik Schwandorf A.-G., die ab 1921 ebenfalls auf Elektroporzellan umgestellt hatte. Die Oberlei­tung in der Geschäftsführung übernahm Friedrich Scheid. Faktisch stellte die HESCHO eine Verkaufs- und Absatzorganisation dar, in der die Hermsdorfer Fabrik zunehmend dominierte. Zum Firmenlo­go der HESCHO wurde ab 1923 das TRIDELTA-Zeichen, jenes später weltberühmte »Tannenbäumchen« (Bild 6). Ab 1926 erfolgte die Bearbeitung aller mit dem Verkauf von elektrotechnischem Porzellan zusammenhängenden Angelegenheiten für die in der HE­SCHO zusammengeschlossenen Werke ausschließlich durch die Verkaufsstelle Hermsdorf. Direktor J. Dönitz von der Porzellanfabrik Hermsdorf war am 5. Januar 1923 auch zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates der »Vereinigte Hochspannungs-Isolatoren-Werke G.m.b.H.« mit Sitz in Berlin gewählt worden. Sie stellte das »Hochspannungs-Isolatoren-Syndikat« als Zusammenschluss der elektrotechnischen Porzellanfabriken in Deutschland dar [21].
1927 fusionierte die H. Schomburg & Söhne A.-G. mit der Kahla A.-G., ebenso die Porzellanfabriken Schönwald A.-G. und die E. & A. Müller A.-G., Schönwald. Am 24. November 1931 veräußerte die HESCHO das von ihr betriebene Handelsgeschäft an die Porzellan­fabrik Kahla A.-G. und hörte damit als selbständiges Unternehmen auf zu existieren. Gleichzeitig mit der Löschung aus dem Handels­register erfolgte am 29. Dezember 1931 ein Eintrag, die Änderung der Firma Porzellanfabrik Kahla, Filiale Hermsdorf-Klosterlausnitz, Klosterlausnitz, in Hermsdorf-Schomburg-Isolatorengesellschaft, Zweigniederlassung der Porzellanfabrik Kahla, Hermsdorf. Die Firmierung HESCHO ging damit auf das Hermsdorfer Unternehmen über. Von Anfang an erwies sich die Gründung der HESCHO als positiver Impuls für die Entwicklung ihrer Fabriken. In der Porzellanfabrik Freiberg wurde 1923 das erste Hochspannungsprüffeld Europas für 1 Mio. Volt errichtet [22], außerdem das Kerami­sche Zentrallaboratorium [23], eine Wärme- und Brenntechnische [24] sowie eine Maschinentechnische Abteilung [25]. Auch in Hermsdorf ging im Januar 1927 ein analoges Prüffeld in Betrieb, konzipiert für Arbei­ten mit Wechselstrom von 1 Mio. V gegen Erde, auf Grund wirtschaftlicher Schwierigkeiten aber zunächst nur mit einem Prüftrafo von 500 kV ausgerüstet (Tafel 1). Dagegen wurde es mit einer Anlage zur Erzeugung elektrischer Spannungsstöße bis zu Scheitelspannungen von 1 Mio. V ausgebaut und in den Folgejahren auf 2 Mio. V erweitert (Bild 13).

 
Bild 13: 2 Mio. Volt- Stoßanlage im Höchstspannungs-Versuchsfeld Bild 13: 2 Mio. Volt- Stoßanlage im Höchstspannungs-Versuchsfeld

Hier wurde 1925 von E. Marx auch die nach ihm benannte Vervielfachungsschaltung entwickelt, die es ermöglicht, fast beliebig hohe Stoßspannungen zu erzeugen. Auch ein Freiluftversuchsfeld wurde 1927 miterrichtet (Bild 14).
1936 folgte dann die konzipierte Installation des damals modernsten Hochspannungs-Prüftransformators für 1 Mio. Volt.

Bild 14: Freiluftversuchsfeld vor dem Höchstspanngs-Prüffeld Bild 14: Freiluftversuchsfeld vor dem Höchstspanngs-Prüffeld (heute Freifläche vor dem Hermsdorfer Stadthaus)
 
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